Sicher ist nicht sicher genug – Warum Arbeitsschutz Frauen oft nicht mitdenkt 

Du trägst eine Schutzweste, die viel zu groß ist? Oder Sicherheitsschuhe, die nicht richtig passen? Kein Einzelfall – sondern Alltag für viele Frauen. Denn wenn Daten nicht alle Menschen mitdenken, entstehen unsichtbare Barrieren, die echte Konsequenzen haben. 

Daten steuern unsere Welt. Sie entscheiden, welche Arbeitsmittel entwickelt, welche Arbeitsplätze gestaltet und welche Schutzmaßnahmen getroffen werden. Doch was passiert, wenn die Daten unvollständig sind? Wenn eine Hälfte der Bevölkerung in Analysen, Studien und Planungen systematisch übersehen wird? Dann entstehen Lücken – und diese Lücken haben Folgen.  

Wenn Frauen in der Arbeitswelt nicht mitgedacht werden, bedeutet das auch fehlende Sicherheit. Denn Arbeitsschutz basiert oft auf Normwerten, die sich an männlichen Körpermaßen orientieren. Das führt dazu, dass Schutzkleidung, Werkzeuge oder ergonomische Arbeitsplätze für viele Frauen ungeeignet sind. 

Ein Beispiel: Sicherheitsbekleidung. Sie ist für einen „durchschnittlichen“ Körper konzipiert – aber wer ist dieser Durchschnitt? Oft basiert er auf männlichen Körpermaßen. Frauen müssen sich also in zu großen Schutzwesten oder schlecht sitzenden Handschuhen bewegen, was im schlimmsten Fall ihre Sicherheit gefährdet.  

Eine Studie des Instituts für Textiltechnik der RWTH Aachen zeigt, wie gravierend dieses Problem ist: Von 1.734 befragten Feuerwehrangehörigen, darunter 109 Frauen, gaben weibliche Feuerwehrkräfte deutlich häufiger an, dass ihre Schutzbekleidung schlecht sitzt. Besonders Feuerwehrhosen und -jacken seien für ihre Körper nicht optimal angepasst, was das Wohlbefinden mindert und die Unfallgefahr erhöht.   

Die ausführliche Studie findet ihr hier: https://forum.dguv.de/ausgabe/4-2022/artikel/geschlechtergerechtigkeit-im-feuerwehrwesen-einfluss-von-feuerwehrbekleidung? 

Das Problem beschränkt sich aber nicht nur auf den Arbeitsschutz. Auch bei der Bürogestaltung zeigen sich Datenlücken: Temperaturregelungen richten sich oft nach dem männlichen Stoffwechsel, Stühle nach einer „durchschnittlichen“ männlichen Körpergröße. Die Folge? Unwohlsein, geringere Produktivität, langfristig möglicherweise sogar gesundheitliche Probleme.  

Von der Arbeitswelt zur Medizin: Warum das ein Problem für uns alle ist 

Was hat das mit Medizin zu tun? Mehr als man denkt. Denn der Gender Data Gap zeigt sich auch in der Gesundheitsversorgung. Systematisch erhobene und geschlechtsspezifisch differenzierte Daten sind entscheidend, um fundierte Erkenntnisse zu gewinnen und bessere medizinische Entscheidungen zu treffen. Doch wenn Frauen in Studien unterrepräsentiert sind, bleiben wichtige Unterschiede unerforscht. Medikamente, die vorrangig an männlichen Probanden getestet wurden, können bei Frauen andere – oft unbekannte – Nebenwirkungen haben. Herzinfarkte äußern sich bei Frauen anders als bei Männern, doch weil die Daten fehlen, werden sie zu spät erkannt.

Ein weiteres Beispiel: Künstliche Intelligenz in der Diagnostik. Algorithmen, die mit unausgewogenen Datensätzen trainiert wurden, erkennen Krankheiten bei Frauen oft schlechter – sei es bei der Auswertung von Röntgenbildern oder der Diagnose von Hautkrebs. 

Wenn wir Arbeitsplätze, Sicherheitsstandards und Gesundheitsversorgung auf Basis unvollständiger Daten gestalten, entstehen unsichtbare Barrieren, die besonders Frauen und nicht-binäre Menschen betreffen.  

Was kannst Du tun? 

  • Datenlücken schließen: Studien, die geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigen, sind essenziell – sowohl in der Medizin als auch in der Arbeitswelt.  
  • Standards hinterfragen: Unternehmen sollten kritisch prüfen, ob ihre Produkte und Arbeitsumgebungen tatsächlich für alle Menschen geeignet sind.  
  • Geschlechtersensible Medizin fördern: Eine bessere Datengrundlage in der Arbeitswelt hilft indirekt auch der medizinischen Forschung, da sie neue Erkenntnisse über geschlechtsspezifische Unterschiede liefert.  

Geschlechtersensible Medizin beginnt nicht erst in der Arztpraxis – sie beginnt dort, wo wir leben und arbeiten!