Ein Herzinfarkt gehört bei Frauen in Deutschland zu den häufigsten Todesursachen. Viele Frauen deuten die Symptome aber falsch – und riskieren ihr Leben.
Frauen und Herzinfarkt – warum wir uns als Frauen damit beschäftigen müssen
Herzinfarkt ist doch eine typische Männerkrankheit, denkst du? Das ist eine weitverbreitete Meinung, die aber längst nicht mehr stimmt. Es erkranken zwar immer noch mehr Männer an Herzkrankheiten – Frauen sterben aber häufiger daran.
Der Herzinfarkt gehört bei Frauen zu den häufigsten Todesursachen: In Deutschland sterben jedes Jahr mehr als 20.000 Frauen daran.
Die Sterblichkeitsrate ist bei Frauen unter anderem deshalb höher, weil die Symptome bei Frauen oft weniger eindeutig sind und sie deshalb oft falsch interpretiert werden. Und zwar von den betroffenen Frauen selbst – und auch von Ärztinnen und Ärzten.
Bei einem Herzinfarkt zählt jede Minute, es muss sofort gehandelt werden. Frauen, die einen Herzinfarkt erleiden, handeln oft nicht schnell genug. Es ist daher überlebenswichtig, Symptome zu erkennen und die Beschwerden ernst zu nehmen.
Wie entsteht ein Herzinfarkt?
Häufigste Ursache für einen Herzinfarkt sind Arterienverkalkungen, der medizinische Fachbegriff ist Arteriosklerose. Dabei lagern sich Blutfette in den Gefäßen an, insbesondere das Blutfett Cholesterin. Durch diese Ablagerungen werden die Blutgefäße mit der Zeit enger und starrer. In der Folge kommt es zu kompletten Verschlüssen von Blutgefäßen.
Das Blut transportiert Sauerstoff in die Zellen. Durch verschlossene Gefäße kann kein Blut mehr fließen, die Sauerstoffzufuhr wird unterbrochen, die Zellen nicht mehr mit Sauerstoff versorgt. Geschieht dies in Herzkranzgefäßen, sterben Herzmuskelzellen ab. Es kommt zu einem Herzinfarkt.
Die langfristigen Auswirkungen eines Infarkts hängen davon ab, wie schnell gehandelt wird und wie groß die betroffenen Gefäße und Bereiche sind. Je größer die abgestorbenen Bereiche sind, umso eher können Patientinnen und Patienten dauerhaft an Herzrhythmusstörungen oder einer Herzschwäche leiden.
Je schneller der Blutfluss durch die Gefäße wiederhergestellt wird, der Herzmuskel wieder mit Sauerstoff versorgt wird, desto mehr Herzmuskelzellen können gerettet werden.
Wann sind Frauen besonders gefährdet für einen Herzinfarkt?
Das Alter ist bei Frauen ein wesentlicher Faktor für einen Herzinfarkt. Laut Statistiken erkranken die meisten Frauen nach der Menopause, also nach den Wechseljahren. Grund dafür sind Hormonveränderungen. Genauer: weniger Östrogene im Körper.
In den Wechseljahren produziert der weibliche Körper nicht mehr so viel Östrogene, der Spiegel dieser weiblichen Geschlechtshormone sinkt. Östrogene haben aber eine Art „Schutzfunktion“ vor Gefäßverengungen. Sie erweitern unter anderem die Blutgefäße und schützen die Gefäße dadurch vor Ablagerungen und Verengungen. Dieser Hormonschutz lässt nach den Wechseljahren nach.
Das Risiko für Herzinfarkte nimmt bei Frauen um 10 Prozent zu.
Frauen erkranken im Schnitt später im Leben am Herzen als Männer. Wenn sie bestimmte Vorerkrankungen haben, sind sie dann aber sogar gefährdeter. Die größten Risikofaktoren sind: Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes, Rauchen, ein hoher Cholesterinwert und Stress.
Noch wenig untersucht und berücksichtigt werden frauenspezifische Risikofaktoren wie Schwangerschaftshochdruck, Frühgeburten, Eierstockentfernungen, eine vorzeitige Menopause oder gesellschaftliche und soziokulturelle Faktoren.
Herzinfarkt: Welche Symptome treten bei Frauen auf?
Ein Herzinfarkt macht sich auch bei Frauen häufig durch einen Schmerz in der Brust bemerkbar. Im Vergleich zu Männern beschreiben Frauen den Schmerz aber weniger als starken, ausstrahlenden Brustschmerz.
Sie berichten vielmehr von einem stetigen Druckgefühl und von Enge in der Brust. Und – auch hier spielt das Alter offenbar eine Rolle. Je älter Frauen und Männer sind, desto weniger stark ist der Brustschmerz.
Der Brustschmerz kann aber auch ganz ausbleiben. Ein Herzinfarkt kann völlig andere Symptome auslösen, wie Schmerzen im Oberbauch, im Rücken oder im Halsbereich. Und vor allem mit zunehmendem Alter: Übelkeit, Erbrechen und unerklärliche Müdigkeit. Typische Begleiterscheinungen sind Atemnot, Angst und Schweißausbrüche.
Betroffene Frauen interpretieren die Symptome häufig falsch, da sie Grippe- oder Wechseljahresymptomen ähneln oder einer harmlosen Magenverstimmung. Sie gehen davon aus, dass die Schmerzen schon wieder nachlassen werden und rufen seltener den Notarzt an – was zu gefährlichen Verzögerungen führt.
Herzinfarkt bei Frauen – der Risikofaktor „Unkenntnis“
Nicht nur die betroffenen Frauen reagieren zu spät oder interpretieren die Symptome falsch, auch Notärzte und Rettungssanitäter denken bei den Beschwerden häufig nicht an einen Herzinfarkt. Diese Unkenntnis hat fatale Folgen.
Eine Studie des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung hat gezeigt: Frauen über 65 Jahren mit Herzinfarkt-Symptomen kommen eine Stunde später in die Notaufnahme als gleichaltrige Männer. Und zwei Stunden später als junge Frauen.
Bei über 65-jährigen Frauen vergehen viereinhalb Stunden bis sie eingeliefert werden, bei über 65-Männern dreieinhalb Stunden. Junge Frauen werden dagegen bereits nach knapp zweieinhalb Stunden eingeliefert. Die Kombination aus Alter und Geschlecht führt also zu einer verzögerten Entscheidung, die lebensgefährlich sein kann.
Hier gehts zur Studie:
https://www.ajconline.org/article/S0002-9149(17)31466-2/fulltext
Fehleinschätzungen können im weiteren Verlauf zu Fehlbehandlungen in der Klinik führen. Frauen bekommen häufig zunächst Asthmaspray gegen die Luftnot oder Tabletten gegen die Übelkeit verordnet. Da bei Frauen auch die typischen Infarktmerkmale im EKG oft weniger stark ausgeprägt sind, werden sie oftmals nicht so intensiv behandelt.
Und auch bei der bildgebenden Diagnostik von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt es Geschlechtsunterschiede, die in vielen Kliniken noch nicht bekannt sind. Frauen werden dadurch seltener sofort an Herzspezialisten verwiesen.
Frauen und Herzinfarkt: Das Problem der „Gleichbehandlung“
Frauen und Männer werden bisher nach einem Herzinfarkt mit den gleichen Therapien behandelt. Es gelten die gleichen Leitlinien, es werden die gleichen Medikamente verschrieben, mit den gleichen Dosierungen.
Inzwischen ist aber bekannt, dass Frauen und Männer unterschiedlich auf Medikamente reagieren und unterschiedliche Nebenwirkungen auftreten können.
Ein Grund ist das geringere Körpergewicht von Frauen.
Aber auch die Verstoffwechselung der Wirkstoffe ist eine andere. Der Abbau von Stoffen in der Leber dauert bei Frauen länger. Und eine Tablette braucht zum Beispiel für den Weg durch den Magen und Darm einer Frau etwa doppelt so lange wie bei einem Mann.
Frauen brauchen deshalb in vielen Fällen weniger Wirkstoffe. Bei gleicher Medikamentengabe werden sie daher häufig überdosiert. Was ihnen im schlechtesten Fall mehr schadet als nützt. Einige Beispiele:
Studien haben gezeigt, dass Frauen mit Herzschwäche am meisten von den Medikamenten profitieren, wenn sie nur 40 bis 60 Prozent der empfohlenen Dosis nehmen.
Konkret wurde in einer Studie der Einsatz von ACE-Hemmern und Beta-Blockern bei Patienten mit Herzschwäche untersucht. Heraus kam, dass bei Männern sowohl das Risiko für einen Krankenhausaufenthalt als auch das Sterberisiko bei 100 Prozent der empfohlenen Dosis von am geringsten war.
Bei Frauen sank das Risiko bereits bei 50 Prozent der empfohlenen Dosis um etwa 30 Prozent und nahm bei höheren Dosen auch nicht weiter ab.
Hier gehts zur Studie:
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0140673619317921?via=ihub
Bei Herzrhythmusstörungen werden häufig Wirkstoffe verabreicht, die aus der Fingerhutpflanze (Digitalis) stammen. Diese Wirkstoffe führen bei Frauen zu erheblich stärkeren Nebenwirkungen als bei Männern.
ACE-Hemmer führen bei Frauen vermehrt zu Reizhusten als bei Männern. Generell treten unerwünschte Nebenwirkungen bei Frauen 1,5- bis 2-mal häufiger auf als bei Männern. Und weil Frauen kleinere Gefäße haben, gibt es häufiger Komplikationen beim Setzen von Stents.
Das Team von #EQUALHEALTHCARE bietet die Möglichkeit, hier aktiv zu werden, um beispielsweise auf solche unbekannte Fakten aufmerksam zu machen.
Mehr dazu hier.
Frauen und Herzinfarkt: Was hat das mit Daten zu tun?
Leitlinien für Therapien, die Wirkung von Medikamenten, ihre Dosierung und mögliche Nebenwirkungen werden in klinischen Studien erprobt und überprüft.
Das Problem aus Sicht der Frauen ist: Sie sind in großen klinischen Studien oft unterrepräsentiert. Häufig sind nur 25 Prozent der Studienteilnehmer weiblich.
Dazu kommt – die Ergebnisse werden nur selten geschlechtsspezifisch erfasst. So schlüsseln im Moment nur zwölf Prozent der Zulassungsstudien Nebenwirkungen nach dem Geschlecht auf.
Fehlt die Aufschlüsselung, können keine geschlechtsspezifischen Konsequenzen für die Therapie und die Dosierung abgeleitet werden.
Die Schieflage beginnt jedoch schon viel früher.
Denn bevor Medikamente in klinischen Studien an Menschen getestet werden, finden Tierversuche statt. Hierbei werden fast nur männliche Tiere, meist Mäuse, eingesetzt.
Unter anderem weil Wissenschaftler befürchten, dass sich der weibliche Hormonzyklus auf die Testergebnisse auswirkt. Und nur etwa 5 Prozent der Zell-Experimente werden an weiblichen Zellen durchgeführt.
Je mehr solch einseitiger Daten zusammengeführt werden und je mehr Anwendungen in der Medizin mit Künstlicher Intelligenz und selbstlernenden Systemen arbeiten, desto größer wird die Schieflage – die geschlechterbezogene Lücke, der Gender Data Gap, vertieft sich.